VERANSTALTUNGEN

"Der Arme ist einer, der keine Rechte hat": Gedenken an Gustavo Gutiérrez

Seine Worte bei einem Treffen mit der Gemeinschaft zum Thema "Die Armen und die Kirche"

Die Gemeinschaft Sant'Egidio erinnert mit Zuneigung an Gustavo Gutiérrez, den berühmten peruanischen Theologen und sogenannten Vater der Befreiungstheologie, der im Alter von 96 Jahren verstorben ist. Die Freundschaft mit ihm wuchs im Laufe der Jahre durch zahlreiche Begegnungen sowohl in Peru als auch in Rom, bei denen wir uns über die Frage der Bedeutung der Armen in der Kirche austauschten, der er seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil sein Leben widmete.

Hier die Zusammenfassung eines öffentlichen Interviews mit Andrea Riccardi, dem Gründer von Sant'Egidio, das 2019 in Rom zum Thema "Die Kirche und die Armen" stattfand.

Die Kirche und die Armen, 9. Oktober 2019

Gutiérrez ging von seiner eigenen Erfahrung als Medizinstudent aus. Als Jugendlicher voller Ideale träumte er davon, dem menschlichen Leid, aber auch der sozialen Not Abhilfe zu schaffen. In diesen Jahren und in diesem Umfeld reifte seine Berufung, die ihn dazu brachte, sich für das Priesteramt zu entscheiden. Als Jungpriester einer "vertikalen" Kirche, wie es in Peru der Fall war, blickte er hoffnungsvoll auf das Konzil, insbesondere als er den Vorschlag des Papstes hörte, die Armen und die Armut zum Thema der Versammlung zu machen. Zwar stand diese Frage nicht ganz im Mittelpunkt des Zweiten Vatikanischen Konzils, aber dennoch prägte sie die Konferenz des lateinamerikanischen Episkopats in Medellín (Kolumbien) im Jahr 1968 und stellte eine Haltung infrage, die den Besuch der Messe als ausreichend ansah, um ein guter Christ zu sein. In den folgenden Jahren arbeitete Pater Gutiérrez am Weg der Theologie der Befreiung, der viele Probleme in manchen Bereichen der Kirche schuf. Allerdings begeisterte er auch viele Menschen und Priester und einfache Gläubige, sodass sie ihren Glauben bis hin zum Martyrium bezeugt haben. 

"Die zentrale Stellung der Armen ist die grundlegende Aussage der Befreiungstheologie", erklärte Gutiérrez. Die Befreiungstheologie sei aus der direkten Auseinandersetzung mit den Armen entstanden: "Ich war nie Professor für Theologie. Ich war Gemeindepfarrer und Priester". Schwierigkeiten entstanden bei der Bestimmung des Verhältnisses von christlichem Glauben und Armut: "Manchmal war es schwer. Aber die Entscheidung lautete, in der Kirche zu arbeiten, von innen heraus. Und jetzt hat sich vieles geändert", schließt Gutiérrez. 

"Ich habe nur einen Beitrag eingebracht. Andere sind gekommen und werden kommen. Es ist die Kirche, die sich auf den Weg macht und in Bewegung ist, und das geschieht nicht durch das Buch eines Pfarrers". Aber es war und ist notwendig, den Blick auf die Armen zu richten: "Der Arme ist einer, der keine Rechte hat. Die Arbeit mit den Armen erfordert vielmehr, dass sie zur Erkenntnis kommen, auch selbst Christen zu sein - wenn sie es sind - und selbst Menschen zu sein. Das Almosen, das in der Geschichte der Kirche einen besonderen Stellenwert hat, ist zumindest teilweise aus der Zeit gefallen. Auch weil die Armut Ursachen hat, die angegangen werden müssen, damit sich die Dinge ändern können. Es ist notwendig, die Stimme der Stimmlosen zu sein, dafür zu kämpfen, dass die Stimmlosen anfangen, eine Stimme zu haben. Dieser Kampf geht weiter, denn die Armut ist immer noch in der Welt präsent und hat ihre Wurzeln in einer rücksichtslosen Wirtschaft, 'die tötet', wie Papst Franziskus es ausgedrückt hat."

"Oft wird gesagt: 'Die Kirche hat die Option für die Armen getroffen, aber die Armen haben sich für die Sekten entschieden'". "Das ist wahr", fuhr Gutiérrez fort, "aber das bedeutet nicht, dass die Option für die Armen nicht richtig wäre. Es ändert auch nichts an der Tatsache, dass die Idee einer Theologie des Wohlstands eine große Täuschung gegenüber den Armen ist. Es ist nur so, dass wir uns sehr spät bewegen. Der jetzige Papst beschäftigt sich - wie er muss - mit den verworrenen Situation, die er in der Kirche vorgefunden hat, und versucht, vieles zu ändern. Er hat es geschafft, den richtigen Weg einzuschlagen und muss auf diesem Weg unterstützt werden."

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Kurzbiographie von Gustavo Gutiérrez Merino

Gustavo Gutiérrez Merino, 1928 in Lima, Peru, geboren, Dominikanerpriester, er gilt als Begründer der "Befreiungstheologie". Als Autor zahlreicher Bücher und noch zahlreicherer Artikel in der Zeitschrift "Concilium" und anderswo hat Gutiérrez seine akademische und wissenschaftliche Tätigkeit mit einer konkreten Nähe zu den kirchlichen Basisgemeinden Lateinamerikas verbunden. Sein bahnbrechendes Werk ist die "Theologie der Befreiung" (1971), in der er die Notwendigkeit eines biblisch begründeten Weges zur ganzheitlichen Befreiung der Völker und der Armen - sowohl in spiritueller als auch in sozialer Hinsicht - betont.

Seine Thesen, die in verschiedenen Bereichen der lateinamerikanischen Kirche und der Weltkirche großen Erfolg hatten, stießen jedoch auch auf breite Ablehnung, insbesondere während des Pontifikats von Johannes Paul II. 

In einem Interview vor einigen Jahren sagte Gutiérrez über sich und die Theologie, an der er arbeitete: "Der arme Mensch steht am Rande, er zählt nichts. Ohne Solidarität wird die Gebrechlichkeit nie verändert werden. Wie in der ganzen Welt dringen Egoismus und Individualismus auch in die christliche Welt ein. Deshalb bedeutet Solidarität Gerechtigkeit. [...] Nicht jeder weiß, dass mein erstes Anliegen die Seelsorge ist. Seit Jahren arbeite ich in derselben Pfarrei, in einem alten und sehr armen Viertel von Lima. Mit anderen Worten: Die intellektuelle Arbeit ist nicht mein Hauptanliegen. [...] Die Befreiungstheologie ist aus der Beschäftigung mit dem Verhältnis von christlichem Glauben und Armut entstanden. Die Armut ist in der Welt verbreitet und die Bibel, der christliche Glaube und die Botschaft des Evangeliums haben ein Wort dazu zu sagen. Was ist wichtig? Die bevorzugte Option für die Armen. Heute nennt man das so, aber die Idee ist sehr alt. Sie ist das Zentrum der Befreiungstheologie. Die Vorliebe Gottes für die Armen und Verlassenen zieht sich durch die ganze Bibel. Die zentrale Stellung der Armen ist die Grundaussage der Befreiungstheologie. Aber alles, was wir getan haben, war, an die Aussagen der Bibel zu erinnern. [...] Ich liebe die Kirche, denn sie ist mein Volk, sie ist mein Leben. Wenn ich über Befreiungstheologie schreibe, ist das für mich ein Liebesbrief an den Gott, an den ich glaube, an die Kirche, die ich liebe, an das Volk, zu dem ich gehöre. Die Briefe sind vielleicht nicht alle gleich, aber die Liebe ist dieselbe".