SHAHBAZ BHATTI

Am 2. März 2011 wurde Shahbaz Bhatti, Pakistans Minister für Minderheiten, im Alter von 42 Jahren mitten in Islamabad ermordet. Er hatte sich bis zuletzt für den Schutz aller und nicht nur der eigenen Minderheiten und für die Förderung des Dialogs eingesetzt. Im Gegensatz zu seinen Mördern glaubte er an ein vereintes Pakistan und an ein Land, in dem ethnische und religiöse Gruppen zusammenleben. Und er gab sein Leben hin für dieses Ideal.
Als Opfer eines Anschlags, der weltweit Entsetzen und Empörung auslöste, ist Shahbaz Bhatti heute ein Vorbild für die Minderheiten in Pakistan, nicht nur für Christen, sondern auch für Hindus, Sikhs, Ahmadis und eine große Zahl von Muslimen in diesem großen Land, das 1947 aus der Teilung mit Indien hervorging. In regelmäßigen Abständen finden Demonstrationen zu seinem Gedenken statt. Es wurden auch Lieder zu seinen Ehren komponiert und Ausschüsse für sein politisches, soziales und religiöses Engagement gegründet. Aber im Respekt gegenüber seinem Vermächtnis hat sein Tod sozusagen nicht zu Widerstand und Gewalt geführt. Im Gegenteil, Shahbaz ist in Pakistan und in der ganzen Welt zu einem Symbol für alle geworden, die an friedliche Kämpfe zur Verteidigung von Minderheiten und einer pluralistischen Gesellschaft glauben.
Bhatti suchte nicht den Tod, aber er wollte seinen Kampf für die Schwachen und Unterdrückten nicht aufgeben, wie Andrea Riccardi erklärt, der ihn eigentlich zwei Tage nach dem Anschlag in Islamabad treffen wollte: "Er war ein Christ, der sein Land liebt. Trotz der konkreten Bedrohungen für sein Leben hatte er nie daran gedacht, es zu verlassen. Im Gegenteil, er war davon überzeugt, dass Pakistan seine Wurzeln wiederentdecken sollte, und zwar nach dem Vorbild seines Gründers Ali Jinnah, der für einen säkularen Staat eintrat, in dem die verschiedenen Religionen friedlich zu seiner Entwicklung beitragen".

Sein Einsatz
Wie in seinem "geistlichen Testament" nachzulesen ist, geht die Berufung von Shahbaz zum Einsatz des Lebens für andere auf einen Karfreitag zurück, als er eine Predigt über das Leiden Jesu hörte. Er war gerade 13 Jahre alt und wollte die Christen und ganz allgemein alle "Armen und Verfolgten" verteidigen. Und als er noch sehr jung war, noch in der Schule, führte er seinen ersten gesellschaftlichen Kampf gegen die Einführung eines neuen Personalausweises, der je nach Religion eine andere Farbe hatte. Es waren die sehr harten Zeiten der Diktatur von General Mohammed Zia ul-Haq (1977-1988). Shahbaz, der bereits im Alter von 17 Jahren die Christliche Befreiungsfront gegründet hatte, trug mit seinen Protesten nicht unwesentlich dazu bei, das geplante Gesetz zu blockieren. Es waren Jahre hartnäckiger Auseinandersetzungen. An der Universität erhielt er erste Morddrohungen, aber er gab nicht auf. Im Gegenteil, 1992 startete er, ermutigt durch den katholischen Aktivisten Cecil Chaudry, einen Helden der Kriege gegen Indien, eine landesweite Kampagne gegen das Blasphemiegesetz. Dieses Gesetz erlaubt, dass Personen schon bei einem einfachen Verdacht angeklagt werden können, und das bisher zu einer sehr hohen Zahl von Strafverfolgungen geführt hat, nicht nur gegen Angehörige von Minderheiten, sondern - was im Ausland wenig bekannt ist - vor allem gegen die muslimische Mehrheit, wobei häufig Abrechnungen unter Familien verschleiert werden.
Von Anfang an wollte sich Bhatti jedoch nicht innerhalb der Mauern der örtlichen katholischen Gemeinde verschließen. Daher war es fast selbstverständlich, dass seine Christliche Befreiungsfront im Jahr 2002 in eine Bewegung umgewandelt wurde, der es gelang, alle pakistanischen Minderheiten zu vereinen: die APMA (All Pakistani Minorities Alliance). Mit diesem Verein hat er sich in ganz Pakistan einen Namen gemacht, auch durch seine Hilfe für Menschen, die von dem schrecklichen Erdbeben im Jahr 2005 betroffen waren. Bei dieser Gelegenheit entschied sich seine Vereinigung dafür, unterschiedslos allen Betroffenen von Obdachlosigkeit und damit auch einer großen Zahl von Muslimen Hilfe zu leisten, wofür sie den offiziellen Dank der staatlichen Behörden erhielt.
 
Mitglied des Parlaments und Minister

Shahbaz Bhatti hatte bereits im Jahr 2000 ein Angebot zum Eintritt in die Politik abgelehnt. Das war nicht Teil der Entscheidung, die er für sein Engagement getroffen hatte. Auf der Suche nach Verbündeten für seine Kämpfe ließ er sich schließlich dazu überreden, sich der PPP3 von Benazir Bhutto anzunähern. Nach ihrer Ermordung erklärte er sich bereit, bei den allgemeinen Wahlen zu kandidieren, wobei er in seinem Programm genaue Garantien für die Minderheiten aufnahm. Im Februar 2008 wurde er in das Unterhaus der Nationalversammlung gewählt. Der neue Posten im Parlament änderte nichts an seinem Lebensstil, wie sein Bruder Paul erzählt: "Er ging weiterhin hinaus, um alle zu treffen: die Armen, die islamischen Gelehrten, die politischen und religiösen Führer, die einfachen Leute. Sein Büro wurde ständig von Menschen aufgesucht, die nur zu ihm kamen, um zu reden oder einen Rat zu bekommen. Und er hat niemanden weggeschickt".
Am 2. November 2008, nach der Wahl von Asif Ali Zardari, dem Ehemann von Benazir Bhutto, zum Präsidenten, wurde dem Vorsitzenden der APMA das Ministerium für Minderheitenangelegenheiten angeboten, das es bis dahin nicht gab. In seiner Grundsatzrede war Shahbaz leidenschaftlich: "Ich habe beschlossen, Minister zu werden, um mich für die unterdrückten und ausgegrenzten Gemeinden Pakistans einzusetzen. Ich habe mein Leben dem Kampf für menschliche Gleichheit, soziale Gerechtigkeit und Religionsfreiheit gewidmet. Jesus ist der Mittelpunkt meines Lebens, und ich möchte durch mein Handeln seine wahre Nachfolge antreten, indem ich Gottes Liebe zu den Armen, den Unterdrückten, den Verfolgten, den Bedürftigen und dem leidenden pakistanischen Volk bringe." Er begann eine intensive Arbeit, die für die Minderheiten in kaum mehr als zwei Jahren beträchtliche Früchte tragen sollte. Bhatti bemühte sich direkt um mehrere konkrete Personen, darunter um Asia Bibi, der wegen Gotteslästerung zum Tode verurteilten Christin, und erreichte eine Verbesserung ihrer Haftbedingungen. Vor allem aber hat er in seiner Arbeit als Minister eine lange Liste von Errungenschaften gesammelt, sowohl auf legislativer Ebene als auch ganz allgemein auf der Ebene der Rechte.

Die Grenzen des Dialogs und des Friedens
In einigen Bereichen, die ihm besonders am Herzen lagen, wie Dialog und Frieden, versuchte Shahbaz Bhatti, das Netz seiner Beziehungen über die Grenzen Pakistans hinaus zu erweitern, und knüpfte zahlreiche Kontakte auf internationaler Ebene. Er reiste in die Vereinigten Staaten, wo er von Außenministerin Hillary Clinton empfangen wurde, und nach Kanada, wo er 1999 einen angesehenen Preis erhielt und mit Premierminister Stephen Harper zusammentraf. Er pflegte Kontakte auf der ganzen Welt, in Asien mit einer koreanischen Vereinigung, in Italien mit dem Patriarchat von Venedig, das sich an den Hilfsmaßnahmen während des Erdbebens von 2005 beteiligt hatte, und knüpfte weiterhin sein Netz von Beziehungen zu kirchlichen Organisationen. Eine wichtige Freundschaft hat sich in seinen letzten Jahren auch mit der Gemeinschaft Sant'Egidio entwickelt, die seit dem Jahr 2000 im Land präsent ist und mit Hunderten von pakistanischen Jugendlichen und Erwachsenen in verschiedenen Städten engagiert ist. Nach einem ersten Besuch in Rom im Oktober 2009 und einer bedeutenden Zusammenarbeit bei der Hilfe für die von den verheerenden Überschwemmungen betroffene Bevölkerung - wie schon beim Erdbeben 2005 -, ohne dabei zwischen Muslimen und Minderheiten zu unterscheiden, reiste Shahbaz Bhatti im September 2010 erneut nach Italien. Am 11. September nahm er auf Einladung von Sant'Egidio am Gebet in der römischen Basilika Santa Maria in Trastevere zum Gedenken an die Opfer des Anschlags auf die Zwillingstürme teil, in Anwesenheit des Botschafters der Vereinigten Staaten beim Heiligen Stuhl, Miguel Diaz, und zahlreichen anderen Diplomaten. Für ihn war es sehr wichtig, als Minister eines Staates, der mehrfach der Komplizenschaft mit dem Terrorismus beschuldigt wurde, anwesend zu sein. Bei dieser Gelegenheit sagte er einen Satz, den er in den folgenden Monaten mehrmals wiederholte, sogar am Tag vor seiner Ermordung: "Betrachtet mich als einen von euch, ich bin auch Teil der Gemeinschaft". Am nächsten Tag wurde Shahbaz im Vatikan empfangen und überbrachte Benedikt XVI. eine wichtige Botschaft, in der Präsident Zardari den Wunsch seiner Regierung zum Ausdruck brachte, die interreligiöse und interkulturelle Harmonie im Lande zu gewährleisten. Der Papst versicherte ihm seine Verbundenheit mit den Opfern der damaligen Überschwemmung und seine Unterstützung für das gesamte pakistanische Volk.

Shahbaz Bhatti (Mitte) beim Gebet am 11. September 2010 in Santa Maria in Trastevere (Rom)



Sein Tod

Die Ernennung zum Minister wurde von einer Eskalation der Drohungen gegen Bhattis Leben begleitet. Insbesondere nach der Ermordung des muslimischen Gouverneurs von Punjab, Salman Taseer, der Asia Bibi verteidigt hatte, wurde Shahbaz stark unter Druck gesetzt, um zurückzutreten. Die Bestätigung seines Amtes Mitte Februar 2011, die keineswegs von vornherein feststand, ließ die Hoffnung wieder aufleben, auch dank der Ermutigung durch das interreligiöse Netzwerk, das er zum Schutz der Minderheiten aufgebaut hatte. Doch nur wenige Tage später, am Morgen des 2. März, hielt ein Kommando bewaffneter Männer Bhattis Auto auf, als er gerade das Haus seiner Mutter verlassen hatte, und tötete ihn am helllichten Tag im Herzen von Islamabad. Eine Hinrichtung, die seit einiger Zeit sorgfältig vorbereitet und vor allem mit großer Leichtigkeit durchgeführt wurde. Jeder wusste, dass das Todesurteil früher oder später vollstreckt werden würde, wenn es keinen Schutz gab. Bhatti selbst war sich dessen bewusst. Aber er wollte nicht klein beigeben und seine Freunde, die Armen und Unterdrückten und alle "ausgegrenzten" Männer und Frauen seines geplagen Landes Pakistan ihrem Schicksal überlassen. Er war weder ein Held noch ein eingefleischter Politiker. Er war vor allem ein Christ, der als Christ lebte und starb.

Abschied
Der Tod von Shahbaz Bhatti hat in der ganzen Welt große Betroffenheit ausgelöst. Der Präsident der Vereinigten Staaten, Barack Obama, gehörte zu den ersten, die darauf reagierten, während Benedikt XVI. während des sonntäglichen Angelus an ihn erinnerte. In Pakistan huldigten ihm neben den Staatsoberhäuptern auch zahlreiche islamische Würdenträger, und zum Haus seiner Mutter Martha pilgerten ständig Christen, Muslime, Sikhs und Hindus, die sich zum Gebet um sie versammelten, als Zeugnis der interreligiösen Freundschaft, die eine der Stärken von Shahbaz war.
Am 4. März fanden zwei Feiern statt. Die "offizielle" Feier am Morgen in Islamabad mit einer liturgischen Feier in Anwesenheit zahlreicher Politiker, des Premierministers Gilani und vieler Botschafter. Die Kathedrale war voller Gläubiger und Vertreter der Gesellschaft. Alle sprachen von Bhatti als einem "Märtyrer". Auch aus dem Ausland reisten Angehörige zu den Feierlichkeiten an. Sein Bruder Peter, der 1997 nach Kanada auswanderte und die Internationale Christliche Stimme gegründet hat, ist sich sicher, dass sich die Christen seines Landes nicht einschüchtern lassen: "Tausende von Shahbaz Bhattis werden sich erheben und nicht aufhören, bis sie die dunklen Mächte des Bösen besiegt sind". Paul Bhatti, der später den Regierungsposten seines Bruders in einer anderen Gestalt übernahm, kam aus Italien, wo er als Arzt arbeitete.
Die "Begräbnisfeier des Volkes" fand in Khushpur statt, wohin der Leichnam von Shahbaz mit einem Hubschrauber überführt wurde. Es war der Ausdruck einer starken Sympathie in der Bevölkerung: eine Mischung aus Wut und Betroffenheit vieler, die ihrr Hoffnung auf ihn gesetzt hatten und sich plötzlich als Waisen wiederfanden. Hunderte schwarz gekleideter Erwachsener und Jugendlicher riefen Parolen gegen die Regierung und islamische Fundamentalisten. Eine Gruppe von Frauen schwenkte schwarze Fahnen und lobte den getöteten Minister mit den Rufen: "Bhatti, dein Blut ist der Beginn einer neuen Revolution". Die Straßen waren mit Bannern und Schildern mit dem Foto dieses Mannes gesäumt. Auf einigen Transparenten war zu lesen: "Shahbaz Bhatti, Sohn des Mutterlandes, wir werden dich vermissen", auf anderen: "Bhatti, wir werden deine Mission fortsetzen". Katholische Priester sowie zahlreiche Führer der Hindu- und Sikh-Minderheiten und Vertreter der muslimischen Mehrheit betraten die in der Nähe der Dorfkirche aufgebaute Bühne.
Der Platz füllt sich mit einer großen Schar von Menschen, am Ende waren es Zehntausende. Sie skandierten Slogans und forderten Gerechtigkeit für den Tod des Ministers. Als der Sarg eintraf, sprach der damalige Bischof von Faisalabad, Joseph Coutts, inmitten eines unbeschreiblichen Lärms ein Grußwort: "Shahbaz Bhatti hat dafür gekämpft, Pakistan von Vorurteilen und Hass zu befreien und die Wurzeln einer Kultur des gegenseitigen Respekts und der Toleranz zu pflanzen". Nach der Segnung des Leichnams wurde er in Begleitung der Menschenmenge auf den Hof einer Schule gebracht: Dort wurde vor dem Sarg die pakistanische Flagge gehisst und die Nationalhymne gesungen. Auf dem Friedhof, auf dem er beerdigt wurde, befindet sich neben dem Grab seines Vaters Jacob Bhatti ein leeres Grab. Zwei Monate zuvor hatte Shahbaz bei einer Beerdigung zu seinem Bruder Paul gesagt: "Dieser Ort gehört mir, aber erst nachdem ich für Wahrheit und Gerechtigkeit gekämpft habe. Wenn das passiert, weine nicht um mich". Nun war die traurige Prophezeiung Wirklichkeit geworden, das Drama eines Volkes, das ihm treu bis zum Ende folgte. Es herrschte ein großes Chaos: Alle klammerten sich an die Familie Bhatti, alle wollten den Sarg von Shahbaz zum letzten Mal berühren, alle wiederholten eindringlich, wie eine Litanei: "Er ist ein Märtyrer, er ist ein Heiliger".

Das Erbe von Shahbaz
Shahbaz Bhatti hat ein wertvolles geistiges Vermächtnis hinterlassen, das über die Grenzen Pakistans hinausgeht und eine universale Dimension hat. Aber man sollte einen anderen Aspekt nicht unterschätzen, nämlich seine gesellschaftliche und politische Leistung. Es gibt eine lange Liste großer und kleiner Errungenschaften, die sich auf die pakistanische Gesellschaft auswirken und die Demokratie und den Respekt für die Vielfalt des Landes stärken. Es genügt, an einige der wichtigsten Erfolge zu erinnern, die er während seiner Amtszeit als Parlamentarier und seiner kurzen Zeit als Minister (zwei Jahre und vier Monate) erzielt hat:

* ein nationales Gesetz, das alle öffentlichen Ämter verpflichtet, mindestens 5 % ihres Personals aus religiösen Minderheiten einzustellen;

* die Zuteilung von vier Sitzen im Senat an Minderheiten (bis dahin war es nicht möglich, dass ein Christ oder ein Hindu in diese Versammlung gewählt wurde);
* Einrichtung eines Telefondienstes im Ministerium für Minderheiten zur Meldung von Übergriffen auf nicht-muslimische Bürger;
* die Einführung des Tages der Minderheiten am 11. August, dem Jahrestag der historischen Rede Ali Jinnahs an die pakistanische Nation, in der er gleiche Rechte für alle Bürger ohne ethnische oder religiöse Unterschiede proklamierte;
* Einrichtung von Gebetsräumen für Nicht-Muslime in pakistanischen Gefängnissen;
* Schaffung eines Netzes von "Distriktausschüssen für Harmonie und interreligiösen Dialog", auch auf der Ebene von Dörfern und ländlichen Gemeinden, die häufig Schauplatz starker Diskriminierung sind;
* Dank seiner Berichte schlossen sich zahlreiche pakistanische muslimische Führer dem wichtigen Dokument an, das im Juli 2010 verfasst wurde und in dem alle Formen des Terrorismus verurteilt werden.

Doch schon bevor er ins Parlament gewählt wurde, hatte Bhatti mit seiner APMA bereits bedeutende Erfolge erzielt. Zu den wichtigsten gehören

* der Protest gegen das Projekt eines gesonderten Personalausweises für Nicht-Muslime (unter der Diktatur von Zia), der die Regierung zwang, es zurückzuziehen.
* den Kampf gegen das getrennte Wahlsystems für Minderheiten (im Jahr 2000);
* die Aktivität, durch die die Verabschiedung des islamischen Dekrets verhindert werden konnte, mit dem die Figur des Muhtasib, eines religiösen Bürgen nach dem Vorbild der Taliban, in der Grenzprovinz eingeführt werden sollte (2005).

Seit seiner Jugend hatte sich Shahbaz auch für die Änderung des Blasphemiegesetzes eingesetzt
. Interessant ist in diesem Zusammenhang jedoch, dass er seit seinem Amtsantritt neben der öffentlichen Anprangerung auch einen anderen, diskreteren und vielleicht einschneidenderen Weg ausprobiert hat. Ohne auf den Protest zu verzichten, erkannte er, dass es zur Lösung der Situation unerlässlich war, Verhandlungen mit den muslimischen Kreisen aufzunehmen, die am empfindlichsten auf Veränderungen reagieren. Diese Arbeit hatte gerade erst begonnen, aber in vielen Fällen, wie im Fall von Asia Bibi, trug sie bereits erste Früchte.
Am 5. April 2011, etwas mehr als einen Monat nach dem Tod von Shahbaz Bhatti, gedachte die Gemeinschaft Sant'Egidio seiner bei einer Konferenz in Rom, die mit der feierlichen Übergabe der persönlichen Bibel des pakistanischen Ministers in der St. Bartholomäus Basilika endete. Es ist die römische Kirche, die Johannes Paul II. dem Gedenken an die "neuen Märtyrer" widmete, um an die Glaubenszeugen aus dem 20. und 21. Jahrhundert zu erinnern, die aufgrund ihres christlichen Glaubens ihr Blut vergossen haben.

 Die persönliche Bibel von Shahbaz Bhatti, die in der Basilika St. Bartholomäus auf der Tiberinsel (Rom), "Gedenkstätte der neuen Märtyrer" aufbewahrt wird



Das wertvolle politische Vermächtnis von Shahbaz Bhatti zeigt, wie ein Glaubenszeuge unserer Zeit auch eine wertvolle Arbeit als "Brückenbauer" leisten kann. Einen Monat nach seinem Tod bezeichnete Andrea Riccardi ihn als einen Mann, der zwar "mit bloßen Händen" gegen das Unrecht kämpfte, aber gleichzeitig ein hohes Maß an politischem Geschick an den Tag legte: "Er ging keine Kompromisse ein, sondern beherrschte die dem Politiker eigene Kunst der Abstufung. Er war ein Mann des Dialogs. Er liebte Pakistan, und man kann Pakistan nicht lieben, ohne die Muslime zu lieben. Dies ist eine reiche, komplexe Welt von Sunniten und Schiiten, mit einer von den Fundamentalisten verpönten Sufi-Komponente, die Bhatti nicht als kompakte Einheit ansah." Er verglich Bhatti mit Martin Luther King, der 1968 getötet wurde, dem Jahr, in dem Shahbaz geboren wurde; er bezeichnete ihn als "Märtyrer des Dialogs". Als überzeugter Christ und aufrichtiger Pakistaner hat Bhatti nie zu Rache oder Widerstand aufgerufen. Um sein Andenken herum hat sich eine gewaltfreie Bewegung gebildet, die sich für die Rechte von Minderheiten einsetzt, gleichzeitig aber auch mit gleicher Überzeugung für das Zusammenleben mit der vielschichtigen Mehrheit des Landes. Dies mag als gewagt erscheinen, wenn man an das heutige Pakistan denkt, in dem in vielen Regionen immer noch Gewalt herrscht, aber es ist eine große Vision, auch eine politische, die für die Zukunft dieses Landes tragfähig ist.

Der Kampf seines Bruders Paul
Paul Bhatti erfuhr von dem Anschlag auf seinen Bruder, als er in Italien war. Dies ist sein zweites Heimatland. Er wurde 1957 in Khushpur geboren, kam nach Europa, um Medizin zu studieren, blieb dann aber und arbeitete in verschiedenen italienischen Einrichtungen und lebt seit 2005 in der Stadt Treviso. Er war stolz auf das Engagement seines Bruders und hat ihn immer unterstützt, auch wenn er ihn als älterer Bruder vor den Gefahren gewarnt hat. Er war oft erstaunt über den Glauben, den er von Anfang an an seine Mission hatte.
Pauls Unterstützung war immer da, aber notwendigerweise aus der Distanz. Das Attentat auf Shahbaz hat plötzlich alles verändert. Paul eilte nach Pakistan, um an der Beerdigung teilzunehmen. Er sprach über das Vermächtnis seines Bruders: "Für ihn bedeutete Dialog, mit Muslimen und anderen Minderheiten zusammenzuarbeiten und nach gemeinsamen Werten zu suchen. Er wollte niemanden bekehren, aber er hatte den größten Respekt vor allen Religionen". Später sprach er im Namen der ganzen Familie Vergebung aus: "Das ist es, was der christliche Glaube uns lehrt, und das ist es, was Shahbaz getan hätte".
Obwohl Paul mit Shahbaz eng verbunden war, hatte er nie daran gedacht, sich in ähnlicher Weise zu engagieren. Aber nach dem Tod seines Bruders hatte er das Bedürfnis, dessen Erbe anzutreten. So entschied er sich, nach Pakistan zurückzukehren, wo er auf Geheiß von Präsident Zardari Sonderberater von Premierminister Gilani für religiöse Minderheiten wurde, obwohl er kein vollwertiger Minister werden konnte, da er nicht ins Parlament gewählt wurde. In Wirklichkeit verlieh ihm dieses Amt die gleiche Verantwortung, Funktion und Aufgabe, die sein Bruder als Bundesminister hatte, einschließlich des Rechts, im Ministerrat zu sitzen.
Das Überleben einer Behörde zum Schutz von Minderheiten ist jedoch keine Selbstverständlichkeit, und Paul kämpfte sofort für eine ministerielle Struktur, die neben seinem Amt bestehen bleiben sollte. Ende Juni 2011 beschloss die pakistanische Regierung, das Ministerium für religiöse Minderheiten abzuschaffen und es zu einer Provinzstruktur herabzustufen. Paul Bhatti trat nicht zurück und legte dem Premierminister einen "umfassenden Aktionsplan" zur Verbesserung der Lebensbedingungen von Minderheiten auf kultureller, religiöser und gesetzlicher Ebene vor.
Ende Juli 2011 wurde das föderale Ministerium dank starker Proteste aus dem In- und Ausland wieder eingesetzt, wenn auch unter dem neuen Namen "Nationale Harmonie". Der Katholik Akram Gill wurde zum Staatsminister ernannt, während Paul Bhatti als Berater des Premierministers weiterhin eine führende Rolle bei der Verteidigung der Minderheiten spielte. Dies ist ein wichtiges Ergebnis, das auch im Ausland als ein bedeutendes Zeichen der Offenheit des pakistanischen Staates gefeiert wird. Gute Stimmung herrschte auch am 11. August 2011, dem Tag der Minderheiten, für den Shahbaz so hart gekämpft hatte. Bei dieser Gelegenheit, fünf Monate nach seinem Tod, erinnerte Präsident Zardari daran, dass Christen, Hindus und Angehörige anderer Religionen als des Islams "einen grundlegenden Beitrag zur Gestaltung der Nation geleistet haben und der Staat die Pflicht hat, sie zu schützen: Sie sind pakistanische Staatsbürger". An diesem Feiertag, dem ersten ohne Shahbaz, begab sich eine Delegation aus Vertretern aller Minderheiten unter der Leitung von Paul Bhatti zum Präsidentenpalast und bot den islamischen Parlamentariern mitten im Ramadan symbolisch das Iftar an, die große Mahlzeit zum abendlichen Fastenbrechen.
Pauls Engagement folgt den Spuren von Shahbaz: eine leidenschaftliche Verteidigung der Minderheiten, aber gleichzeitig der Glaube an einen Dialog mit der muslimischen Mehrheit und mit den Institutionen, auch um konkrete Ergebnisse zu erzielen. Es ist kein Zufall, dass er in Bezug auf Asia Bibi dasselbe Verhalten an den Tag legt wie sein Ministerbruder, und zwar so sehr, dass er im Oktober 2011 alle Medien auffordert, zu schweigen. Shahbaz' leidenschaftlicher Kampf für die Rettung der zu Unrecht Verfolgten geht weiter. Er stand an der Spitze der Proteste gegen die Verhaftung des geistig behinderten christlichen Mädchens, Rimsha Masih, am 16. August 2012, das der Blasphemie beschuldigt wurde. Der Fall ging um die Welt, aber auch in diesem Kampf beschloss Paul Bhatti, sich nicht nur auf die Empörung der internationalen Gemeinschaft zu verlassen, sondern auch auf das von Shahbaz in Pakistan aufgebaute Netz interreligiöser Freundschaften. Eine große Anzahl von Imamen mobilisierte sofort, um die Freilassung des Mädchens zu fordern, und dank ihnen war die Kampagne erfolgreich und führte zu einem Freispruch durch das Oberste Gericht in Islamabad. Paul Bhatti widmete diesen Sieg seinem Bruder Shahbaz und nutzte die Gelegenheit, um die Einsetzung einer "gemeinsamen Kommission" mit christlichen und muslimischen Führern, Experten und Anwälten zu fordern, die Fälle von angeblicher Blasphemie präventiv untersucht.
Die Parlamentswahlen vom 11. Mai 2013 brachten den Niedergang der PPP, der Partei der ehemaligen Premierministerin Benazir Bhutto, der zunächst Shahbaz und dann Paul Bhatti angehörten, und eine Veränderung der pakistanischen Lage mit der Rückkehr von Nawaz Sharif, dem Vorsitzenden der Pakistan Muslim League-Nawaz (PML-N), an die Macht. Paul hatte jedoch nicht die Absicht, sein bürgerschaftliches Engagement aufzugeben, und kündigte unmittelbar nach der Abstimmung an, dass er seinen Kampf fortsetzen werde: "Wir brauchen ein anderes Wahlsystem für Minderheiten (doppelte Stimmabgabe), ihre vollständige Integration und einen Kampf gegen die Missbräuche im Zusammenhang mit den Blasphemiegesetzen". Er forderte die neue Regierung auf, drei Prioritäten in Angriff zu nehmen: Sicherheit, Wirtschaft und die Energiekrise. Von da an bekleidete er keine institutionellen Ämter mehr, sondern setzte sein Engagement als Vorsitzender der APMA fort, der von Shahbaz gegründeten Vereinigung aller Minderheiten, die sich zu einer echten Partei mit einer verzweigten Struktur in allen Regionen Pakistans entwickelt hat und in der Christen, Hindus, Sikhs und Ahmadi vertreten sind. Gleichzeitig pflegte er das Netzwerk internationaler Freundschaften, das sein Bruder im Laufe der Jahre aufgebaut hat.
Im Ausland - wo er oft um ein Zeugnis gebeten wird - wie auch in Pakistan wird er inzwischen von allen als "Erbe von Shahbaz" angesehen, als Stimme der Christen und anderer Minderheiten in einem Land, das nach wie vor eine sehr hohe Rate an Gewalt und Terrorismus zu verzeichnen hat. In dieser Situation, die zu den schwierigsten der Welt gehört, gibt Paul Bhatti nicht auf, sondern setzt seinen Kampf beharrlich fort: "Ich bin gegen Extremismus und Fanatismus, egal woher sie kommen. Ich möchte nur meinen Beitrag für die Christen und alle Minderheiten in meinem Land leisten. Ich glaube sehr an den interreligiösen Dialog, ich denke, er ist die Grundlage für die Beendigung der Gewalt. Wir brauchen ein Bündnis, ein Gremium, das sich aus maßgeblichen Persönlichkeiten aller Religionen zusammensetzt und bereit ist, einzugreifen, um die Gewalt zu stoppen, wenn sie ausbricht. Ich bin überzeugt, dass der Kampf um den Frieden am Ende zum Wohle aller und zur Rettung Pakistans gewonnen werden wird.