Die Pandemie hat den Flüchtlingsstrom nicht beendet aus den vom Papst als regelrechte Lager bezeichneten Internierungscamps auf der Suche nach Zuflucht in Europa. Währenddessen stehen Libyen und der Libanon vor dem Zusammenbruch
Zwei furchtbare Geschichten auf den Flüchtlingsschiffen Ocean Viking und Talia beschreiben ein dramatisches Problem im Mittelmeerraum. Die Talia transportiert normalerweise Tiere und muss die normalen unendlichen Prozeduren mit langen Wartezeiten vor Malta durchführen; es wurde berühmt durch ein Bild, das an die Pieta von Michelangelo erinnert: ein syrischer Seemann hilft einem zum Skelett abgemagerten Flüchtling, der nicht mehr laufen kann, um an Land zu kommen.
Dieses Bild hat die Schläfrigkeit derer aufgerüttelt, die sich an diese Geschichten gewöhnt haben. Ocean Viking ist das Schiff einer NGO und musste elf Tage auf die Erlaubnis der italienischen Regierung warten, bis es anlegen durfte.
Seine menschliche Frachtl von 180 Personen ist eine Art Spiegel der UNO der Verdammten der Erde: 60 auf Bangladesch, 46 aus Pakistan, 17 aus Ägypten, 16 aus Tunesien, 11 aus Eritrea, 11 aus Marokko, 6 aus Ghana, drei aus dem Sudan und aus Kamerun, einer aus Nigeria, Mali und der Elfenbeinküste. Die Sicherheitsmaßnahmen wegen des Coronavirus machen jedes Vorgehen noch komplizierter. Auf jeden Fall dürfen wir nicht nur die Anlandungen in Betracht ziehen, sondern müssen das Gesamtproblem angehen. In den kommenden Monaten, nicht Jahren, wird es im Rahmen dieser Wirklichkeit neue Herausforderungen geben.
Vor allem gibt es die Frage von Libyen: die Migranten/Flüchtlinge sind in einem endlosen Krieg gefangen, werden manchmal gefoltert oder von den Libyern als Sklaven benutzt. Der Papst hat die Internierungszentren in Libyen als Lager bezeichnet. Dort leben ca. 50.000 Migranten, darunter Frauen und Kinder.
Statt sie in unmenschlichen Zuständen zu belassen oder zuzuschauen, dass sie gefährliche Wege über das Meer einschlagen, geht es um ein Programm der Evakuierung, bei dem Italien in Zusammenarbeit mit anderen europäischen Ländern die Initiative ergreifen kann. Dadurch werden die Menschen vor den Gefahren der Reisen und der unmenschlichen Zustände bewahrt. In dieser Hinsicht ist unbedingt ein sofortiges Handeln notwendig.
Das zweite große Problem zeichnet sich im Libanon ab, es ist durch eine nie dagewesene politische und wirtschaftliche Krise gelähmt. Jahrzehnte lang war das Land im Schwanken, doch heute ist die Gefahr eines Zusammenbruchs wirklich hoch. Über 250.000 Palästinenser leben schon immer dort (aber sind nicht integriert und leben in unvorstellbar schlimmen Situationen: das sagt jemand, der Sabra und Chatila besucht hat, ihre Flüchtlingslager). Es gibt eineinhalb Millionen Syrer im Land, überwiegend in Zelten. Manche kehren nach Syrien zurück, aber nicht immer ist ihre Sicherheit garantiert.
Für die Syrer müssen mehr humanitäre Korridore geschaffen werden. Europa hat sich mehrere Male eingesetzt, um den Libanon zu retten. Italien hat im Land der Zedern 1.000 Soldaten im Rahmen der bewaffneten UNO-Truppen. Eine neue politische Initiativen von Seiten Europas für den Libanon wird benötigt, wie auch eine Rettung der Wirtschaft trotz der schwierigen politischen Lage. Der Mittelmeerraum kann sich keine weitere Krise erlauben. Und die Libanesen und die Flüchtlinge haben das auch nicht verdient. Oder wollen wir alles dem komplexen russisch-türkischen oder arabisch-iranischen Spiel überlassen und dabei vergesen, dass das Mittelmeer auch unser Meer ist?
Schließlich hat die Covid-19 Krise Afrika in die Knie gezwungen. Die dortige Wirtschaft besteht aus über 60% aus keinen festen Arbeitsverträgen auf der Straße und auf dem Markt. Die Ausbreitung der Wüsten verbreibt die Bevölkerung. Der islamistische Terrorismus, hinter dem klare und bestimmte Interesse sichtbar werden, ist in der Lage frustrierte und abgelehnte Gruppen der Bevölkerung anzuwerben und bedroht ganze Regionen. Die afrikanische Frage muss auf die Tagesordnung der internationalen Gemeinschaft gesetzt werden zu ihrem Wohl und für das Gleichgewicht der Welt. Man rettet sich nicht allein, sondern indem man Frieden, Sicherheit und Entwicklung auf weltweiter Ebene stärkt.
Leitartikel von Andrea Riccardi bei Famiglia Cristiana vom 19/7/2020