"Mein Vater suchte nach der Wahrheit, indem er kleine Bausteine von verschiedenen Religionen nahm, ein Rezept sozusagen wie Pizza. Die Freiheit ist keine endültige Errungenschaft, sie ist ein fortgesetzter Prozess. Gewalt sät neue Gewalt, sie schafft keine Gerechtigkeit."
Eine Welt ohne Rassismus und Gewalt, eine Welt von mutigen Personen, die die Ungerechtigkeit mit Freundschaft und Verständnis überwinden wollen. Das ist keine Utopie, sondern ein konkreter Plan, der verwirklicht werden kann; das King Center nennt ihn "Nonviolence 365", um anzudeuten, dass er einen kontinuierlichen, täglichen Einsatz erfordert. Dies verdeutlichte heute Bernice King, baptistische Pastorin und Tochter von Martin Luther Kind, beim Jugendforum im Rahmen des internationalen Treffens "Brücken des Friedens, das von der Gemeinschaft Sant'Egidio und der Erzdiözese Bologna organisiert wurde und morgen mit dem großen Friedensgebet abschließt. Der Austausch mit den Anwesenden war intensiv und lebendig.
Stefano Orlando: Ist der Friede heute ein Traum, der nicht verwirklicht werden kann? Ich denke an Syrien, an die Angst vor dem Nächsten, an den grassierenden Rassismus. Diese getrennte und gewalttätige Welt gefällt uns nicht.
Bernice: Mein Vater glaubte daran, dass die Gewaltlosigkeit moralische und konkrete Probleme lösen könne, wenn man die Methode der "Nonviolence 365" nutzt. Das ist eine Art zu denken und zu leben, die eine tägliche Veränderung mit sich bringt, indem sie die Würde aller schützt. Mein Vater suchte nach der Wahrheit, indem er kleine Bausteine von verschiedenen Religionen nahm. Sozusagen ein neues Rezept, wie Pizza. Er ließ sich von sechs Prinzipien leiten: Die Gewaltlosigkeit ist nicht passiv, sondern für mutige Personen, sie versucht, mit Freundschaft und Verständnis zu siegen; sie will die Ungerechtigkeit besiegen, aber nicht die Personen. Das Leid kann zur Befreiung werden, es wählt die Liebe. Schließlich glaubt der Gewaltlose, dass das Universum auf Seiten der Gerechtigkeit steht. Mein Vater studierte und glaubte daran, wir müssen unsere Menschlichkeit erheben und den anderen schützen als erste Regel der Liebe. Liebt eure Feinde. Martin Luther King glaubte an die Seligpreisungen, an die Agape, die bedingungslose Liebe für die ganze Menschheit.
Jennifer (eine Freundin von Bernice, die am King Center arbeitet): Dein Vater sagte: "Ich habe mich entschieden, in der Liebe zu bleiben", aber du hast viele Jahre lang die Weißen gehasst, und ein Weißer hatte deinen Vater ermordet.
Bernice: Ich war 20 Jahre alt, ich hasste die weißen Menschen. Eines Tages nahm ich an einer christlichen Talk Show teil, die von einem Weißen moderiert wurde, und er fragte: Darf ich dich umarmen? Ich wollte nicht, aber es war eine der ehrlichsten Umarmungen, die ich je erhalten habe. Das hat mich innerlich verändert. Ich habe verstanden, dass wir die Personen nicht in Gruppen einteilen können; jeder von uns ist nach Gottes Abbild erschaffen. Hass bedeutet, Gift zu trinken und zu erwarten, dass der andere stirbt. Wer hasst, ist der erste, der leidet.
Jennifer: Was möchtest du diesen Jugendlichen sagen? Wie kann man Gewaltlosigkeit leben?
Bernice: Mit dem richtigen Herzen und der richtigen Haltung. Michelle Obama hat gesagt: "Wenn sie sich erniedrigen, erhebt sie." Gewaltlosigkeit bedeutet, auf einer höheren Ebene als Disziplin zu handeln. Es ist eine Art, dem Bösen zu widerstehen mit den Prinzipien, die ich vorher angesprochen habe. Sich selbst treu zu bleiben, drückt sich nicht in Schimpfworten und Geschrei aus. Es ist falsch zu glauben, dass man Gewalt braucht, um Veränderungen zu bewirken. Gewalt sät weitere Gewalt. Die Gewaltlosigkeit ist eine Waffe, die mit Gerechtigkeit und bedingungsloser Liebe geladen ist.
Valentina: Fehlt es heute an Anführern für den Frieden wie Ihrem Vater? Haben Sie positive Veränderungen bemerkt?
Bernice: Der Kampf für den Frieden ist ein Prozess, der nie endet, aber er muss in jeder Generation gekämpft werden. Es gibt mir Hoffnung, die Jugendlichen in Amerika zu sehen, die sich gegen Waffen einsetzen. Mich entmutigen Apathie und Gleichgültigkeit. Die Freiheit ist keine endgültige Errungenschaft, sondern ein fortgesetzter Prozess. Jede Generation muss wachsam sein, um die eigenen Freiheiten zu verteidigen. Wir müssen entschlossener sein als die Kinder der Finsternis.
Alessio: Wir Jugendlichen der Gemeinschaft Sant'Egidio in Bologna treffen viele Arme, viel Ungerechtigkeit und Gewalt. Wie können wir weiter Hoffnung haben?
Bernice: Der einzige Weg ist, sich zur Gewaltlosigkeit zu bekennen. Das Leben besteht aus Leiden und Kampf. Wir müssen bereit sein, Hoffnung zu säen. Ihr seid das Licht der Welt. So soll euer Licht vor den Menschen leuchten, damit sie eure guten Taten sehen. Das Licht lässt uns den Nächsten sehen, die Finsternis macht uns aggressiv. Um die Welt zu verändern, brauchen wir das Licht, das die Finsternis besiegt. Wir müssen die Armut erleuchten. Du als Jugendlicher und als Gemeinschaft geh mit Würde und Disziplin, um die Armut zu erleuchten.
Chiara (von der Schule des Friedens in Genua): Wie können wir den Kindern den Wert des Friedens weitergeben?
Bernice erzählt von einem Mädchen aus der Bronx, das eine Klassenregel entworfen hat, die zum Frieden animiert, und schließt: "Seid freundlich, habt Spaß, erhaltet eure Welt schön und sauber."
Die letzte Frage kommt von Jennifer: Erzähle uns, wie dein Vater Größe definierte!
Bernice: Wer groß sein will, mache sich zum Diener aller... Wir können alle groß sein, weil wir alle dienen können. Man braucht ein Herz voller Gnade und eine Seele reich an Liebe: Wer sich von der Liebe leiten lässt, ist groß.