Jetzt wissen wir: Krieg ist nutzlos, man muss Frieden aufbauen

Die westlichen Länder stehen an einem Scheideweg: sich in einer ängstlichen Souveränität zu verschließen oder eine realistische, weltoffene Politik zu fördern.

Am 11. September 2001 begann das 21. Jahrhundert. Der Angriff war von einer noch nie dagewesenen Gewalt. Die Welt verfolgte das Geschehen live und fühlte sich angesichts des selbstmörderischen Terrorismus ohnmächtig. Wir waren Beteiligte: 'Wir sind alle Amerikaner', hieß es. Osama bin Laden forderte die Vereinigten Staaten heraus und wollte sich an die Spirtze der muslimischen Welt setzen in einen Dschihad gegen den Westen.

Auf den von einem Terroristen erklärten Krieg gab es eine westliche militärische Antwort. Es begann eine kriegerische Phase gegen die muslimische Welt. Als ich nun sah, wie die Westler und nicht wenige Afghanen Kabul verließen, wurde mir das Scheitern von 20 Jahren Krieg bewusst: das Scheitern der Auffassung, dass der Krieg Probleme lösen und eine andere Welt schaffen könnte! Seit 2001 in Afghanistan, seit 2003 im Irak und in anderen Ländern, darunter auch im benachbarten Libyen.

Heute wissen wir, wie falsch diese Strategie war.
Zwei Jahrzehnte sind vergangen in einem Jahrhundert, das den Kalten Krieg hinter sich gelassen hatte, während sich eine friedlichere Zeit unter dem Banner der Globalisierung anzubahnen schien. Am Ende hat der Terrorismus nicht gewonnen, sondern die Menschen durch Attentate, den Islamischen Staat im Nahen Osten, die Ausbreitung nach Afrika und anderswo leiden lassen. Auch in der islamischen Welt hat sich die Strategie nicht durchgesetzt, so sehr, dass der Groß-Imam von al-Azhar, Al-Tayyib, mit Papst Franziskus eine Erklärung über die Geschwisterlichkeit aller Menschen unterzeichnet hat, mit der sich viele Muslime identifizieren, weil sie nicht wollen, dass der Islam mit einer Gewalt identifiziert wird, die im Namen Gottes tötet. Der Terrorismus ist, wie wir am Flughafen Kabul gesehen haben, eine Barbarei: ohne Sinn, ohne Herz, ohne Politik. Wir dürfen nicht nachgeben. In 20 Jahren ist eine neue Generation herangewachsen.

Diejenigen von uns, die am 11. September dabei waren, müssen gemeinsam mit den jungen Menschen, die die Protagonisten dieses neuen Jahrhunderts sein werden, über die Welt von morgen nachdenken. Ich denke an die vielen jungen Menschen aus dem Süden der Welt, wo sie fast die Mehrheit bilden, an die jungen Menschen unserer Länder, an diejenigen, die aus unmenschlichen Lebensbedingungen auswandern. Wir müssen eine bessere Welt schaffen. Aber mit wem? Vor zwanzig Jahren hatten die Vereinigten Staaten und der Westen eine Vormachtstellung inne. Dies ist jetzt nicht der Fall. China, Indien, Russland und die Türkei sind wichtige Akteure auf der internationalen Bühne. Wie sieht die Entscheidung aus: sich in die eigenen Grenzen zurückzuziehen, die eigenen Grenzen und unser Lebensmodell zu verteidigen?

Nach dem August 2021 und dem Sieg der Taliban sind wir zunehmend davon überzeugt, dass eine Welt des Friedens geschaffen werden muss. Der Weg ist komplex, doch die europäischen Länder, unsere Kultur und unser Humanismus werden gebraucht. Wir brauchen auch eine gemeinsame europäische Verteidigung. Wir brauchen echte Bündnisse mit denjenigen, die an diese Werte glauben. Zwanzig Jahre später sollten wir nicht dieselben Fehler wiederholen: Arrogant zogen wir in den Krieg, und arrogant und ängstlich bauen wir jetzt Mauern. Einige europäische Staaten tun dies, um sich gegen afghanische Flüchtlinge zu schützen.

Wir stehen am Scheideweg: Entweder wir verschließen uns in einer Souveränität, die in Worten aggressiv, im Grunde aber ängstlich und träge ist, oder wir führen eine ernsthafte, demokratische, realistische und weltoffene Politik. Es handelt sich um eine politische Entscheidung, aber nicht nur. Sie hängt auch von der Lebensgestaltung jedes Einzelnen ab. Es gibt in der Tat eine unbändige (und gewinnende) Kraft des guten Willens und der Menschlichkeit. Papst Franziskus bekräftigt dies, indem er vom "Handwerk des Friedens" spricht: "Jeder Mensch kann mit seinem täglichen Lebensstil ein wirksamer Sauerteig sein".


Leitartikel von Andrea Riccardi in Famiglia Cristiana vom 5/9/2021