Weihnachten. Fest eines Gottes, der Freund ist

Gedanken von Erzbischof Vincenzo Paglia

Nicht nur im Westen teilt Weihnachten die Geschichte in zwei Abschnitte ein: "vor Christus" und "nach Christus". Die Entscheidung wurde vor vielen Jahrhunderten gefällt. Denn unsere Vorfahren sahen in Weihnachten - nämlich in der Geburt Christi - eine Art Wasserscheide der Geschichte, oder besser den Beginn eines neuen und endgültigen Laufes der Weltgeschichte. Es wurde zum Ausdruck gebracht, dass dieses Ereignis mit der Geburt Jesu auch die Neugeburt der Menschheitsgeschichte darstellt. Ephrem war ein Gläubiger aus den ersten Jahrhunderten der syrischen Kirche, als Dichter verglich er Weihnachten mit Jesus selbst und pries ihn als "Freund der Menschen". Denn Weihnachten ist als ein Tag, der "Freund der Menschen" ist, ein Fest der Freundschaft. Er schreibt: "Weihnachten kehrt jedes Jahr im Lauf der Zeit zurück; es wird alt mit den Alten, es wird neu mit dem geborenen Kind... Es weiß, dass die Natur nicht darauf verzichten kann; wie du (Jesus) kommt es den gefährdeten Menschen zu Hilfe. O Herr, die ganze Welt dürstet nach dem Tag deiner Geburt... Möge daher auch dieses Jahr dir ähnlich sein, möge es den Frieden zwischen Himmel und Erde bringen." Also Weihnachten als "Freund der Menschen". Der Grund dafür? Das Kommen Chirsti zu uns. Johannes schreibt es im Prolog seines Evangeliums: "Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt" (1,14). Gott sellbst steigt vom Himmel herab, um unter uns zu wohnen. Leider verhalten sich die Menschen nicht angemessen: der Schöpfer kommt und niemand öffnet ihm die Tür. Er gibt sich mit einem Stall zufrieden, weil er uns nicht im Stich lassen will: "weil in der Herberge kein Platz für sie war", schreibt Lukas bitter. Es ist wirkliich unvorstellbar, was an diesem großen Fest passiert. Nicht nur, dass Gott sich mit einem Stall zufrieden gibt, er entscheidet sich auch, so als Kind auf die Welt zu kommen, wie alle Kinder geboren werden. Das ist auch der Grund dafür - glaube ich - warum wir alle an Weihnachten erweichen. Daher strömen auch viele zur Mitternachtsmesse. Das ist eine wunderschöne Sache. Sie zeigt, dass wir nicht gleichgültig bleiben dürfen angesichts eines Gottes, der so weit geht.

In keiner Religion geschieht solches. Im Allgemeinen geschieht das Gegenteil. In allen religiösen Traditionen (außer den abrahamitischen) feiern die Gläubigen Riten, üben sich an asketischen Praktiken, um von Gott angenommen zu werden, um sich Ihm zu nähren. Im Christentum geschieht das Gegenteil. Der christliche Gott erscheint als ein "auf den Kopf gestellter Gott": Mehr als im Himmel ist er auf Erden, mehr als fern ist er nah, mehr als groß ist er ein Kind, mehr als reich ist er ein Armer. In den Evangelien wird er Immanuel genannt, also "Gott mit uns". Die Nähe des Herrn zu den Menschen ist wirklich eine der wichtigsten Säulen des christlichen Glaubens. Denn nicht wir gehen zu Ihm hin. Er ist es, der zu uns kommt. Nicht aus Pflicht, sondern aus Liebe. Wir können daher der schönen Aussage von Italo Calvino zustimmen, die mich immer sehr beeindruckt hat: "Auf der Welt kann es Menschen geben, die sich als "gottlos" ansehen, doch nach Weihnachten kann es niemals mehr einen Gott ohne die Menschen geben."

[Vincenzo Paglia]